Marie Goslich und der Butterknoten
„Was soll das denn jetzt?“, werden Sie, geneigte Leser vielleicht fragen. Vielleicht erinnern Sie sich auch, dass ich in einem früheren Beitrag zum Thema Bäcker Karus das Thema durchleuchtet hatte. Also bleiben Sie dran. Es wird sich gleich aufklären…
Wieder einmal hatten Eva Loschky und Jörg Becker ihr wunderschönes Haus „elisabeth am See“ für Gäste geöffnet und darin Raum gegeben für ein Ereignis, das seinesgleichen sucht. Wir waren spät dran an diesem ersten Frühlingssonntag und ergatterten nur zwei Plätze in der ersten Reihe, weil andere Gäste offenbar dem Sonnenschein den Vorzug gegeben hatten. Ein Fehler, wie sich bald herausstellte. In der intimen Atmosphäre des Hauses bezauberten Christine Uhde (Rezitation), Beate Masopust (Gitarre) und Benno Kaltenhäuser (Cello) mit einem Programm aus Gedichten von Rainer Maria Rilke und Musik von Erik Satie bis Bela Bartok: „O Leben, Leben, wunderliche Zeit“. Das Ganze war als Auftakt zur Eröffnung der Ausstellung „Alles, außer gewöhnlich – Marie Goslich“ gedacht, aber wir hörten ein ganz eigenes Kunstwerk aus einem Guss. Die lyrischen Gedichte Rilkes bekamen durch die musikalische Untermalung und Begleitung eine ganz besondere Stimmung. Das eine oder andere Gedicht, dem Lauf der Jahreszeiten folgend, hatte man schon gehört, aber noch nicht so. Die drei Künstler vermittelten den Zuhörern die Freude an ihrem Zusammenspiel, unterstrichen durch stimmungsvolle Kostüme und Kerzenschein.
Der zweite Teil des Abends war dem Werk von Marie Goslich gewidmet. Man hat dank der jahrelangen Forschungsarbeit von Krystyna Kauffmann in Caputh schon viel über diese außergewöhnliche Frau lesen können, aber alle warteten gespannt auf die einführenden Worte von Frau Kauffmann. Die kamen auch, allerdings zunächst anders, als erwartet. Wie immer sorgten Eva Loscky und Jörg Becker für das leibliche Wohl der Gäste. Dieses Mal hatten sie das Brot bei unserem neuen Caputher Bäcker Markus Magdziarz bestellt. Und Krystyna Kauffmann wäre nicht Krystyna Kauffmann, wenn sie diese Tatsache nicht spontan angemessen würdigen und ihm Gelegenheit geben würde, sich vorzustellen.
Als Krystyna Kauffmann wieder auf Marie Goslich zu sprechen kam, war ihr die Bewegung anzumerken, insbesondere über deren trauriges Lebensende. Was für ein Leben! Wenn es eine junge Frau aus gutem Hause wagte, sich in Unterwäsche am See zu zeigen, um ein gutes Fotomotiv zu ergattern, was bedeutete das damals? Und wer sind überhaupt die jungen Männer am See?
Wie viel Recherche war nötig, um dieses ungewöhnliche Leben nachzuzeichnen! Und wie viel Mühe und Arbeit in Archiven, um feststellen zu können: Marie Goslich war die erste Fotojournalistin Deutschlands. Ihre Bilder dokumentieren nicht nur, sondern illustrieren häufig Zeitungsartikel, in denen Marie Goslich dezidiert auf soziale Missstände hinwies. „Was, wenn sie ein Mann gewesen wäre?“ Diese Frage stellt Krystyna Kauffmann zurecht. Erst durch ihre Arbeit hat eine breitere Öffentlichkeit überhaupt von Marie Goslich erfahren. Dass es die Photoplatten noch gab bei der Familie Herrmann in Geltow ist ein seltener Glücksfall. So dürfen wir heute die „Schnappschüsse“, die gar keine sind, bewundern und können uns ein Bild machen von jener Zeit. Schauen Sie sich die Photos an. Sie erzählen vom einfachen Leben der Menschen hier vor mehr als hundert Jahren.
Das Brot hat übrigens wunderbar geschmeckt. Und was die Butterknoten angeht wird ja nun doch alles gut: Markus hat ihn in sein Angebot aufgenommen und backt ihn wieder – nach dem alten Rezept von Karus.
Dr. Martina Schuster