90-30-25-20: Die Handweberei und ihre Jubiläen
Jeder sieht das kleine Haus der Handweberei unweit der Kirche in Geltow. Viele kennen es und ahnen dennoch nicht, was sich drinnen versteckt. Es gibt so vieles zu entdecken, es ist so viel mehr da, als man vermutet, wenn man vor dem Tor steht. „Wer sich einmal hineintraut, der bleibt!“ – sagen Mutter und Tochter, Ulla und Nadine Schünemann beinahe gleichzeitig.
„Jetzt muss ich doch einmal gucken“ mit diesem Satz betreten viele den Hof. Überrascht lassen sich dann die Besucher vom Zauber einer anderen Welt gefangen nehmen, die Zeit scheint stehen zu bleiben, Entspannung pur.
Es ist nicht nur das idylische Café im denkmalgeschützten Webhof und bei Kälte und Regen im Haus, was die Erfrischung bringt. Es ist diese besondere Atmosphäre, die Verschmelzung von Arbeit und Museum, die im Tanzsaal der ehemaligen Gastwirtschaft besticht. Seit 25 Jahren gibt es dieses aktive Museum – Jubiläum! -, in dem man der Handwebermeisterin Ulla Schünemann, ihrer Tochter und Handwebergesellin Bianca und ihrer Mitarbeiterin auf sechzehn originalen 200 bis 300 Jahre alten Handwebstühlen über die Schulter schauen kann..
In diesem Augenblick steht der Besucher in Deutschlands größter Handweberei, die seit 90 Jahren besteht, 1927 in Gildenhall in der Nähe von Neuruppin von Henni Jaensch gegründet. 90 Jahre Handweberei, ein Jubiläum, das in einer Festwoche – noch bis zum 4. Juni – gefeiert wird.
Ein Jubiläum, das viel Respekt verdient. War es 1939 mutig von Henni Jaensch, die Gaststätte in Geltow zu erwerben und daraus einen Webhof zu machen, im Garten Vieh zu halten, Gemüse anzubauen und mit anderen Gleichgesinnten eine sich weitgehend selbstversorgende Lebens- und Arbeitsgemeinschaft zu gründen, so war es vor 30 Jahren – und hier steckt das dritte Jubiläum – mindestens ebenso mutig von Ulla Schünemann, den Webhof zu übernehmen. Ihre Mutter Annemarie war bereits eine enge Mitarbeiterin von Henni Jaensch, sodass Ulla Schünemann früh in die Besonderheiten dieser Kunst eingeführt war. Mit natürlicher Ehrfurcht setzt Ulla Schüneman heute zum einen die Tradition von Henni Jaensch, deren Kunst stark von der Bauhaus-Programmatik geprägt ist, fort. Zum anderen sind sie und ihre Töchter stets offen für neue Ideen: so fertigen sie zum Beispiel Webstoffe nach Entwürfen von Designern an, darunter der berühmte niederländische Künstler Willem de Rooij, die in Ausstellungen in Los Angeles, Paris oder London zu sehen sind. Es gab zahlreiche Auftragsarbeiten für Film und Fernsehen, sie stellen Webstoffe nach den Wünschen des Kunden her, maßgeschneiderte Kleidung, Tischwäsche, Gardinen, Decken und ihre Produkte gibt es in Läden von Berlin über Schwerin bis Erlangen zu kaufen.
So wundert es nicht, dass die innovativen Frauen bereits vor 20 Jahren – wiederum ein Jubiläum – eine Modenschau ins Leben riefen. Diese hat inzwischend schon Tradition. Die Proben finden nicht mehr auf dem großen Küchentisch wie beim ersten Mal statt, sondern auf einem richtigen Laufsteg. Selbst auf der Grünen Woche war sie zu sehen.
Erstaunlich ist für den Besucher, welche Räume sich im Haus noch für einen Laden öffnen, wieviel Schätze er entdecken und kaufen kann. Ein kleines Paradies für Suchende und Nichtsuchende.
Die Geschichte der Handweberei ist eine Erfolgsgeschichte. Vor allem zu DDR-Zeiten waren die Produkte dieses „privatkapitalistischen“ Unternehmens sehr gefragt. Doch mit dem Mauerfall brach das Unternehmen völlig zusammen, große Aufträge wurden einfach storniert, die Mitarbeiter mussten gekündigt werden. „Keiner wollte mehr, was er 40 Jahre hatte. Eine Katastrophe!“ Das drohende Aus – ein Schock, vor allem auch für die hochbetagte Henni Jaensch – sie starb 1998. Doch Dank engagierter persönlicher Unterstützung, dank Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Brandenburger Arbeitsministeriums wurde der Mut von Ulla Schünemann wieder neu entfacht und inzwischen auch wieder belohnt.
„Ich kann sogar schon Rücklagen bilden“ meint Ulla Schünemann, „damit endlich die Elektrik erneuert und der Hof neu gepflastert werden kann“. An Urlaub denkt sie nicht.
Meiner Meinung nach sollten für dieses Kleinod öffentliche oder auch private Gelder zur Verfügung gestellt werden, denn die Gemeinde Schwielowsee braucht so besondere touristische Anziehungspunkte wie die Handweberei.
Und nebenbei: mir geht es genauso wie den anderen Besuchern. Ich habe mich hinein getraut, bin gerne geblieben und komme ganz sicher wieder!
Eva Loschky